Ein weiteres Drususlager in Groningen ?
Das Lager in Oberaden wird mit dem römischen Feldzug von 11 v.Chr in Verbindung gebracht. Ein Jahr vorher wurden die Friesen, die damals in der Gegend um Groningen lebten, von Drusus als Verbündete gewonnen. Der römische Historiker Cassius Dio berichtet darüber hinaus für dieses Jahr auch von einem Kanalbau zwischen Rhein und Nordsee, sowie ein gescheitertes Unternehmen gegen die weiter östlich wohnenden Chauken (Cass Dio 5,33).
Plinius Secundus weiß von Inseln vor der Nordseeküste, die durch diesen Feldzug bekannt wurden. Darunter Burchanis(vielleicht Borkum?) ,Glessaria und Actania (Gaius Plinius Secundus, Naturalis historiae (Buch IV, Abschnitt XIII, Absatz 97). Der Geograph Strabo, ein Zeitgenosse der Vorgänge, erwähnt weiter südlich auf der Amisia(Ems) noch ein siegreiches Seegefecht mit den Brukterern.(Strabo 290,3)
Es ist also mehr als wahrscheinlich, daß es ein oder mehrere römische Feldlager zwischen Ijssel und Weser gegeben hat.
Passt ein zweites Lager in den überlieferten historischen Kontext ?
Widerspruch zur bisherigen Stadtgeschichte
Über die Lage der Stadt Groningen schreibt die Wikipedia:
"Groningen liegt am nördlichen Ende des „Hondsrug“ (nicht zu verwechseln mit dem Hunsrück), einer sandigen Erhebung mitten im ehemals ausgedehnten Moor, die sich vom „Drentschen Plateau“ bis ins Zentrum der Stadt zieht und in früherer Zeit die einzige Verbindung dieser beiden Gebiete war"
An der blauen Farbe der niederländischen AHN-Höhenkarte erkennt man, daß die direkte Umgebung von Groningen heute unter dem Meeresspiegel liegt. Die Lage der Stadt war vor dem Deichbau wahrscheinlich der nördlichste mit dem Festland verbundene hochwasserfreie Punkt dieser Gegend. Ein idealer Standort für eine größere Ansiedlung oder auch ein augusteisches Feldlager mit einem 15-25.000 Tausend Mann starken Heer.
Die frühen niederländischen Geographen haben uns detaillierte Stadtansichten von Groningen hinterlassen. In dem Plan aus dem Atlas van Loon von 1649 erkennt man kaum Unterschiede im Straßenbild zur heutigen Situation.
Es gibt auch noch ältere Ansichten aus dem 16 Jhd. die den Schluss erlauben, daß sich das Stadtbild zumindest in den letzten 400 Jahre kaum verändert hat.Auffällig ist in der Stadtansicht auch, daß alle Kirchen der Ausrichtung der Straßen folgen.
Sollten die Vorgängerbauten dieselbe Orientierung aufweisen, ist das möglicherweise ein Indiz für eine vorchristliche Stadtplanung.
Das Stadtbild von Groningen weist im Luftbild ein regelmäßiges Straßenraster auf.
Der noch erhaltene Teil des alten Wehrgrabens im Norden zusammen mit dem im Straßenbild erkennbaren zugeschütteten südlichen Teil sieht dem Verlauf des Lagerwalls von Oberaden ähnlich.
Wenn wir die beiden Eckenverkürzungen in der vermuteten Retentura, also dem nördlichen Teil des Oberadener Lagers vertauschen, und den so entstandenen Plan bei GoogleEarth als Overlay maßstabsgetreu über Groningen einmessen, sieht man eine vollständige Abdeckung des ältesten Stadtgebietes. Diese symmetrische Vertauschung wäre ja ohne weiteres zulässig, wenn das Abschneiden der Ecken wirklich in der zuvor angenommenen und beschriebenen Art Und Weise vorgenommen wurden.
Sollte dies das Lager des Drusus aus dem Jahre 11 v.Chr darstellen, dann kann man aus allen bisherigen Erkenntnissen den Schluss ziehen, daß Drusus von hier aus mit nahezu identischem Personalbestand nach Oberaden zog. Denn die beiden Lager haben eine identische Fläche und exakt gleiche Anzahl von Kohortenplätzen.
Diskrepanzen beim Lagerinneren
Was größtenteils nicht zu einander passt, ist die Innenbebauung unseres konstruierten Lagers zum heutigen Straßenverlauf der Stadt.
Bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest, daß sich eine sehr hohe Übereinstimmung ergibt, wenn man die innere Konstruktion des Lagers um 90° im Uhrzeigersinn dreht.
Es ergeben sich nun für fast alle Lagerwege Entsprechungen im Stadtbild. Der "Grote Markt" deckt sich mit der Principia, wobei sich Eingang von heutigem Rathaus und damaliger Basilika exakt überlagern.
Der westliche Teil des "Vismarkt" ist identisch mit einem der beiden breiten Plätze neben dem zentralen Praetorium.
Die Via Principalis sowie Via Quintana sind zwar größtenteils überbaut aber es führen immer noch Straßen in gleicher Richtung im ehemaligen Verlauf.
Die Abweichungen der heutigen Straßen auf der ehemaligen Via Quintana vom geraden Verlauf bewegen sich nur innerhalb der alten Straßenbreite der römischen Konstruktion.
Der südliche Stadtteil zwischen den beiden römischen Lagerstraßen ist heute noch in drei Streifen von jeweils 66,6m! Breite aufgeteilt.
Allein die unwürdige Via Decumana im Westen hat an ihrer Position im Ideallager kein Pendant im Stadtplan. Das ist aber leicht erklärbar, da auch das Lager in Oberaden eine aus der Symmetrie verschobene Via Decumana aufweist. Der Versatz zum weiter südlich verlaufendem "Vismarkt" beträgt wiederum exakt 66,6m.
Bei den folgenden Rekonstruktionen wird sie deshalb um diesen Wert nach unten versetzt und damit der gesamte heutige "Vismarkt" als römische Ausmessung betrachtet. Legt man das kleine quadratische Ideallager auf eine heutige Katasterkarte von Groningen sind die Parallelen noch deutlicher. In der nebenstehenden Grafik wurde auch das 11,1m Raster eingeblendet. Das ehemalige Südtor der Groninger Stadtmauer liegt am Ende der Via Principalis und damit analog zum Osttor exakt auf dem Lagerwall des rekonstruierten kleineren Ideallagers.
Wichtig ist auch zu bemerken, daß die Strecken der ehemaligen Groninger Stadtmauer, die nicht rechtwinklig zum Straßenraster verlaufen sich ausschließlich im vorderen (Praetentura) und hinteren Teil (Retentura) des römischen Ideallagers befinden. Also in den Teilen des Lagers, in denen in Oberaden die Ecken abgeschnitten wurden. Zwischen der Via Quintana und der Via Praetoria verlaufen die Befestigungswerke beider Konstruktionen synchron parallel.
Weitere Auffälligkeiten
Die vom Grote Markt nach Südosten abgehende Gelkingestraat hat von allen Straßen im südlichen Stadtteil die größten Abweichungen von einem idealen und geraden Verlauf.
Sie hat auch im römischen Referenzlager keine erkennbare Entsprechung.
Es sieht vielmehr so aus, als ob dieser Straßenzug nachträglich aus der überbauten Via Principalis und deren östlichen Bereichen konstruiert wurde.
Der Straßenzug zwischen den Straßen Folkingestraat und Schoolhom hat eine durchschnittliche Breite von ca. 90m. Damit weicht er erheblich von seinen weiter östlichen vier benachbarten parallelen Straßenzügen ab, die eine durchschnittliche Breite von 66m bis 68m Breite aufweisen.
Da in der Rekonstruktion die Via Quintana über der Folkingestraat liegt, könnte man sich diesen Zuwachs durch die nachträgliche Überbauung der römischen Straße erklären.
Rekonstruktionsversuch des zweiten Lagers
Unter Berücksichtigung der noch im Straßenbild erkennbaren Reste der alten Groninger Stadtmauer und Verschiebung der Kohortenquadrate nach innen, könnte das zweite Feldlager wie auf dem Bild links ausgesehen haben. Die weniger sicheren Verläufe dieses Versuchs, sind auf das Bild bezogen die östlichen und westlichen Wallabschnitte.
Möglicherweise wurde die Lagerumwehrung also so konstruiert, daß sie nirgendwo über den wahrscheinlich noch vorhandenen wasserführenden Graben des ersten Lagers hinausgeht. Bezeichnenderweise sind die Strassenführungen im westlichen Bereich, ausserhalb des zweiten Lagers, aber noch innerhalb der ersten Lagergräben auch nicht mehr so regelmäßig.
In der Retentura lassen sich exakt 14 Kohortenquadrate unterbringen. Die Verschiebung der Via Decumana wäre dafür aber nicht notwendig gewesen. Wahrscheinlicher ist vielmehr, daß sie so besser mit dem Weg aus dem Osttor des alten Lagers harmoniert. Das Tore und Wege auf einen Vorgängerbau ausgerichtet wurden, sieht man z.B. auch beim Hauptlager in Haltern.
Passt ein zweites Lager in den überlieferten historischen Kontext ?
Das rekonstruierte zweite kleinere Lager wäre unzweifelhaft mit der Funktion des Lagers in Oberaden verknüpft. Kein anderes Römerlager aus dieser Zeit hat eine vergleichbare innere Struktur. Einzig das große augusteische Lager auf dem Hunerberg in Nijmegen passt zumindest von der Ost-West-Nord-Südausdehnung zu unserer Konstruktion. Auch hier sind es ca. 666m x 666m, wobei die bisher ergrabenen Innenbauten in Nijmegen eine andere Ordnung aufweisen als in Oberaden. Die Kohortenquadrate sind auch hier in der gleichen Größe nachweisbar aber das zentrale Gebäude in der Lagermitte scheint eine Principia zu sein. Es liegt also nahe anzunehmen, daß diese Struktur mit dem Praetorium in der Lagermitte nur für einen kaiserlichen Feldzug verwendet wurde und nicht für ein Standlager. In der Abwesenheit des Feldherrn rückte die Principia als zentrales Gebäude in die Mitte des Lagers. Das entspricht auch der Aufteilung der großen Standlager in späterer Zeit. Um das zweite Lager zu erklären, muß also ein zweiter Feldzug in diesem Gebiet als Grund für diese Konstruktion angenommen werden. Wahrscheinlich auch nur jene mit einem Feldherrn aus der Reihe der Thronfolger, sprich Tiberius oder Germanicus. Die Ausrichtung eines römischen Feldlagers erfolgte mit der Frontseite zum Feind. Während das erste Lager nach Norden blickt, ist die Porta Principalis des Zweiten Lagers Richtung Osten ausgerichtet. Das passt zumindest grob in die Stoßrichtung der folgenden militärischen Aktionen nach Drusus.
Es könnte sich also z.B. um jenen Feldzug, mit angeschlossener Flottenfahrt zur Kimbrischen Halbinsel(Jütland), des Tiberius um 4 bis 5 v.Chr gegen die Chauken gehandelt haben, deren Unterwerfung Drusus seinerzeit noch nicht gelungen war. (Velleius Paterculus: Historia Romana, Buch 2)
Aber auch für die Rachefeldzüge des Germanicus, als Vergeltung für die Varusniederlage geführt, lässt sich ein Feldlager in Friesland annehmen. Nach Tacitus teilte Germanicus sein Heer 15 n. Chr in zwei Teile mit jeweils vier Legionen. Während sein Unterfeldheer Caecina den einen Teil auf dem Landweg vom Rhein zur Ems führen sollte, begab sich Germanicus mit seinem Teil des Heeres per Schiff zu besagtem Treffpunkt.
Die Anfahrt von Groningen aus wäre um einiges leichter gewesen als mindestens 300km vom Rhein aus durch die gefährliche Nordsee zu verlegen. Zudem befand sich das Gebiet ja noch unter römischer Kontrolle. Die Friesen hatten sich nicht am Arminiusaufstand beteiligt und stellten zudem auch noch pflichtgemäß Hilfstruppen. Die vier Legionen lassen sich aber nur in dem rekonstruierten zweiten Lager unterbringen, wenn man keine Hilfstruppen im Lager annimmt.
Die friesischen Kavalleriekontingente wären in Groningen aber bereits vorort gewesen und laut Tacitus sind sie getrennt vom eigentlichen Heer durch den Reiterpräfekten Pedo geführt worden. Diesbezüglich wäre die Vermutung eines Germanicuslagers also auch hinreichend.
Der Name dieses Römerlagers ist möglicherweise auch schriftlich überliefert. In der Geographie des Claudios Ptolemaios wird zwischen den Mündungen von Vidrus(Vechte?) und Amisia(Ems) ein Ort mit dem unzweifelhaft römischen Namen Flevum genannt. Der römische Historiker Tacitus berichtet ebenfalls von einem Kastell Flevum im Rahmen der Friesenaufstände. Den Zweck dieses Kastells beschreibt er grob gesagt mit der "Küstenverteidigung".
Daraus wurde in der Vergangenheit gefolgert, daß es direkt an der Küste liegen muß. Mit der Entdeckung der Flottenstation in Velsen glaubt man dieses Kastell gefunden zu haben. Die Lage bei Ptolemaios wiederspricht dem aber. Wenn dies ein Küstenkastell gewesen wäre, hätte er dies, wie etwas weiter nordwestlich mit Manarmanis-Hafen(De Marne?) geschehen, mit in die Küstenlinie integrieren können. Die Position bei Ptolemaios entspricht mehr der, wie oben beschrieben, bedeutenden topografischen Lage von Groningen.
Also! - Warum glauben wir Ihm nicht einfach ?
Wiederspruch zur bisherigen Stadtgeschichte
Die Forschung geht bisher für Groningen nicht vor dem Jahr 800 von einer städtischen Siedlung aus.
„Stadtgeschichte Groningen in Niederländisch“
„Stadtgeschichte Groningen mit bing-Übersetzung“
Der regelmäßige Stadtplan ist demnach eine Schöpfung aus dem Mittelalter. Die beiden Marktplätze Vismarkt und Grote Markt werden dort zwar auch als geplante Konstruktionen angesehen, eine stadtumfaßende Erklärung für alle geplant wirkenden Straßen, Gräben und Plätze, wie hier vorgestellt, bietet sie aber nicht.
Möglicherweise hat sich das offizielle Szenario innerhalb der römischen Reste abgespielt. Aber waren diese Reste nach mehrere hundert Jahren noch so erkennbar, daß sie die Struktur der Stadt Groningen vorgeben konnten?
Für den Lagerwall haben wir aufgrund des Referenzlagers in Oberaden gesicherte Erkenntnisse, daß er sogar noch heute gut erkennbar sein kann. Es spricht also nichts dagegen, daß nachfolgende Siedlungen ihn effizient als Fundament einer eigenen Stadtmauer adaptierten. Aber trifft das ebenso auf die Entwässerungsgräben der römischen Lagerstraßen zu?
Sollten die Lagerflächen in der Zwischenzeit landwirtschaftlich genutzt worden sein, könnte man auch von einer über Jahrhunderte erfolgten Pflege und Offenhaltung dieser Gräben spekulieren.Aber die herausragende Lage der Stadt, die Funktionsübernahme von Principia zum heutigen Rathaus, die Ausrichtung und Position der Kirchen sprechen für eine kontinuierliche Besiedlung nach erfolgter römischer Aufgabe dieses Gebietes.
Erstellt: Mai 2011
Letzte Änderung: November 2011