Ptolemaios Exkurs

Abb.1: Erster bekannter Globus der Welt. Geschaffen im 15.Jhd. von Martin Behaim  ( Ausgestellt im Germ. National Museum Nürnberg )
Abb.1: Erster bekannter Globus der Welt. Geschaffen im 15.Jhd. von Martin Behaim ( Ausgestellt im Germ. National Museum Nürnberg )

 

Die "Geographike Hyphegesis" des Claudius Ptolemaios (* um 100,- † vor 180)

 

Seit langer Zeit ist die Geographike Hyphegesis des Claudius Ptolemaios wieder in das Blickfeld der historischen Forschung gerückt.

 

Dieser erste moderne Atlas der damals bekannten Welt war, ab seiner Entstehung im 2. Jahrhundert in Alexandria, fast 1000 Jahre lang das Maß aller Dinge in der geographischen Wissenschaft und die folgenden Weltkarten des ausgehenden Mittelalters tragen fast alle die Handschrift des griechischen Astronomen und Geographen.

 

In den Gebieten des ehemaligen römischen Reiches sind viele der in diesem Werk genannten Orte identifiziert worden.

Außerhalb des Imperiums ist die Zuordnung problematischer. Sei es wegen der Ungenauigkeit der antiken Koordinaten oder wegen fehlender weiterer historisch relevanter Indizien.

Denn die größte Gemeinsamkeit der nicht identifizierten Orte ist ihre einzige Erwähnung in der Geographike Hyphegesis des Ptolemaios.

 

Die nachfolgenden Ausführungen zur Geschichte und Arbeitsweise von Ptolemaios sind weitestgehend aus der Neubearbeitung "Ptolemaios Handbuch der Geographie (erschienen 28.9.2006 von Alfred Stückelberger und Gerd Graßhoff)" inklusive Ergänzungsband der Universität Bern entnommen.

Abb.2: Tabula Peutingeriana
Abb.2: Tabula Peutingeriana

Welche Quellen benutzte Ptolemaios ?

 

Zu den ersten literarischen Werken in der Geschichte der Geographie gehörten die sogenannten Periplus und Itinerare. Das waren mal mehr oder weniger detaillierte Reise- oder Länderbeschreibungen. Meist enthielten diese nur eine Abfolgen von Städten oder Häfen auf einer Handelsroute, mit mehr oder weniger zuverlässigen Entfernungs- und Richtungsangaben. Karten enthielten diese Schriftstücke in der Regel nicht  oder nur in idealisierender Form. Das wohl bekannteste erhaltene antike Itinerar ist die Tabula Peutingeria (Abb. 2).

Wichtiger für Ptolemaios werden dagegen die astronomischen und geographischen Werke in der Bibliothek von Alexandria gewesen sein, in denen für Ihn verlässlichere und umfangreichere Informationen zur Längen und Breitenberechnung beschrieben waren. Er selbst nennt  Hipparch als denjenigen der die umfangreichsten und besten Himmelsbeobachtungen überlieferte. Trotzdem beklagt Ptolemaios, daß er insgesamt nur für ein paar Orte auf der Welt über diese begehrten astronomischen Daten verfüge. Als weitere wichtige Quelle wird das heute verschollene Werk des Marinos von Tyros genannt, der sich ein Zeitalter vor Ptolemaios mit der Schaffung einer Weltkarte beschäftigt hatte. Ptolemaios kritisiert aber Darstellung und Qualität dieser Arbeit. Marinos hatte seine Daten traditionell nach Klimata geordnet. Das waren zu dieser Zeit einfach nur Gebiete gleicher geographischer Breite und hatten mit der heutigen meteorologischen Einteilung in Klimazonen nichts zu tun.[ 1 ]

Abb.3: reale und ptolemäische Gradeinteilung im Vergleich
Abb.3: reale und ptolemäische Gradeinteilung im Vergleich

Probleme antiker Vermessungstechnik

 

Das Verfahren zum genauen Vermessen eines Standortes auf der Erde entwickelte sich nur langsam über die Jahrhunderte.

Die frühe Erkenntnis, daß die Erde eine Kugel war, belegt die verblüffend genaue Berechnung des Erdumfanges durch Eratosthenes. Aber schon weit vorher lieferten griechische Entdecker wie z.B. Pytheas von Massilia  astronomische Messwerte über die Geographie der Oikumene.

Zuerst waren dies nur Sonnenstände die zur Mittagszeit mit dem Gnomon durchgeführt wurden. Dies lieferte Hinweise auf die geographische Breite eines Ortes. Später wurden auch, unter anderem von Hipparch, kompliziertere astronomische Verfahren entwickelt um die geographische Länge eines Ortes zu ermitteln. Dazu benutzte man Berichte von Sonnen oder Mondfinsternissen, die zeitnah an unterschiedlichen Orten beobachtet wurden. Durch die Zeitdifferenz dieser Beobachtung ergab sich dann ein Längenunterschied.  In Ermangelung genau gehender Uhren war dieses Verfahren sehr fehleranfällig und nicht so genau wie die Breitenberechnungen. Das führte unter anderem dazu, daß die Längenausdehnung Europas (gemessen von der Küste Portugals bis Byzanz/Istanbul) bei Ptolemaios 50° beträgt, in der Realität aber nur 38° ausmacht. Gravierender bei der Längenproblematik war aber die wahrscheinlich falsche Ansetzung des Erdumfanges. Die in den folgenden Abbildungen hinterlegte Europakarte dient daher nur zur groben Orientierung. Auf den gradgenau überlagerten Karten in Abb. 3 sieht man im Gegensatz dazu, daß die Breitengrade relativ genau bestimmt worden waren.[ 2 ]

 

Alles bekannten Ortsangaben von Hipparch stehen im Einklang mit den Daten von Ptolemaios.
Abb.4: Hipparchische Ortskoordinaten bei Ptolemaios nach Florian Mittenhuber.

Das Vertrauen in die Daten von Hipparch

 

Das zentrale Sammeln dieser Messwerte aus aller Welt in der berühmten Bibliothek von Alexandria wurde systematisch betrieben. Wohingegen ein staatlich organisiertes Bestreben, die Welt mit diesen Methoden zu vermessen nicht erkennbar ist. Ob bei der von Agrippa in Auftrag gegebenen Weltkarte in nennenswerter Weise neue astronomische Vermessungen stattgefunden haben ist eher unwahrscheinlich, da die wesentlich älteren heute noch fassbaren Werte von Hipparch anscheinend, mit allen Fehlern, von Ptolemaios übernommen wurden.[ 3 ] (Abb. 4)

Diese scheinen sogar maßgeblich für die Verzerrungen der Karte des Ptolemaios verantwortlich zu sein. So hat der schon bei Hipparch falsche Breitenwert von Karthago auch Eingang in die Karten von Ptolemaios gefunden. Das führte offenbar zu dem fast geraden Verlauf der afrikanischen Nordküste. Dabei wurden auch die Inseln Korsika, Sardinien und Sizilien relativ zu Karthago nach Süden mitgezogen.

Die Poleis Episemoi

 

Bevor Ptolemaios seine Geographie verfasste, hatte er ein nicht weniger beachtenswertes Werk über Mathematik und Astronomie verfasst. Den heute sogenannten Almagest. Darin erwähnt er einen "Kanon bedeutender Städte" ( Polis Episemoi ) mit dazugehörigen Längen und Breitenkoordinaten, der an sein geplantes geographisches Werk angefügt werden soll. (Synt. 2,13 p. 188 Heib). Der Verdacht, daß es sich hierbei um Orte handelt, deren Position mittels "Himmelsbeobachtungen" bestimmt wurde oder zumindest, aus Sicht des Ptolemaios, besonders sicher lokalisierte Orte waren, liegt auf der Hand, kann aber heute wohl nicht mehr bewiesen werden. Jedenfalls findet sich diese Liste der 358 "Bedeutenden Städte" nahezu komplett und mit nur leicht angepassten Koordinaten in die Länderkarten integriert auch in der Geographie wieder. Sie sind aber auch eigenständig als Procheiroi Kanones überliefert. Ernst Honigmann ging davon aus, daß diese Liste möglicherweise sogar auf Hipparch zurückgeht und von Ptolemaios nur aktualisiert wurde[ 4 ].

Abb.5: Verteilung der Polis Episemoi
Abb.5: Verteilung der Polis Episemoi

Interessant ist, daß sie mal mit auf den Null-Meridian des Ptolemaios, bei den Kanarischen Inseln, bezogen auftauchen, an anderer Stelle der Überlieferung aber mit den wahrscheinlich für den Astronomen handlicheren Stundenabstand von Alexandria vermerkt sind.[ 5 ]

 

Auf der Abbildung 5 sind die Polis Episemoi als rote Punkte markiert. Man erkennt, daß einige Verformungen der ptolemäischen Weltkarte mit den "Bedeutenden Städten" in Verbindung gebracht werden können. Die Nordspitze des Maotischen Sees (Asowsches Meer) wird offenbar durch die Position der Stadt "Tanais" markiert, wodurch dieses über 7 Breitengrade nach Norden in die Länge gezogen wird.

 

Weiterhin ist ein Teil der Ostspitze Schottlands seltsam nach Osten überdehnt. Auch hier kann man den bedeutenden Ort "Pinnata Castra"(Inchtuthil?) als Ursache der Verformung ins Spiel bringen. Als Folge dieses Fehlers könnte auch Jütland, aus Platzmangel in ähnlicher Weise  Richtung Osten verschoben worden sein.

Die drei übrigen Polis  Episemoi in Britannien liegen bei Ptolemaios alle exakt auf dem 20. Breitengrad. Ein Hinweis darauf, daß fehlende Längenangaben dort eventuell falsch ergänzt wurden. Das führt dazu, daß die gesamte Insel oberhalb von "Londinium" nach Osten gekippt wurde. Anscheinend wurde als Folge dann auch Irland, relativ zum falsch lokalisierten Britannien, ebenfalls ind Richtung Nordost verschoben.

 

Die Verteilung der Polis Episemoi in Nordafrika lässt aber auch den Schluss zu, daß die Koordinaten dieser Städte nicht komplett aus unabhängigen astronomischen Berechnungen entstanden sein können. Der schon bei Hipparch erkennbare Breitenfehler von "Karthago" ist auch bei den Polis Episemoi in direkter Umgebung dieser Stadt zu sehen. Offenbar waren die hipparchischen Werte bei Ptolemaios über alle Zweifel erhaben.

Obwohl er selbst erwähnt, daß den Positionen der öfter besuchten (vermessenen?) Orte mehr zu vertrauen ist, hat er sich bei der sicherlich sehr oft besuchten Stadt Karthago nicht von zu erwartenden widersprüchlichen einfachen Gnomon-Breitenmessungen in seinem Vertrauen in die Arbeit des Hipparch abbringen lassen.

Wie hat Ptolemaios gearbeitet ?

 

Ptolemaios ist also nicht um die Welt gereist und hat alle seine Koordinaten selbst vermessen. Die heute rekonstruierte Vermessungstechnik der Antike hätte das auch während eines Menschenlebens nicht zugelassen. Wahrscheinlicher ist, daß diese Koordinaten in unterschiedlichen Schriftstücken, teilweise seit Jahrhunderten in der Bibliothek von Alexandria lagen. Ptolemaios hat diese dann zusammen getragen, redaktionell ausgewertet, normiert, und zu seiner Geographie weiterverarbeitet. Dabei benutzte er die noch heute gebräuchliche Darstellungsform der Erde in Längen und Breitengraden mit Einteilungen zu jeweils 360°.

 

Wichtig ist, daß er seine Daten in eine astronomische und eine geographische Qualität unterteilt, wobei er die astronomische für unabhängig und somit sicherer hält (Geogr. 1,2,1-4 und ebenfalls Geogr. 1,41-2). Ptolemaios beklagt aber zugleich, daß diese astronomisch gewonnenen Daten eher selten waren, und er hebt Hipparch als Einzigen hervor, der diese Daten in größerer Zahl hinterlassen hat. 

 

Um nun ein proportionsgetreues Bild der Oikumene zu erhalten, hat Ptolemaios diese unabhängig gewonnenen astronomischen Daten als erstes auf seiner Karte absolut eingetragen. Er spricht in diesem Zusammenhang von "Grundpfeilern" themelioi. Vieles spricht dafür, daß zumindest ein Teil der Polis Episemoi dazu gehörten. Aber auch astronomisch bestimmte Küstenpunkte oder Quellen und Mündungen von Flüssen werden dazugehört haben. Die überwiegende Anzahl der restlichen Orte und topographischen Punkte wurden demnach relativ zu diesen Grundpfeilern in die Karte übernommen. Durch diese Zweistufigkeit erreicht Ptolemaios, daß sich Fehler bei den Entfernungsangaben über die gesamte Oikumene nicht übermäßig aufsummieren können. Durch die Unabhängigkeit der astronomischen Daten sollten Messabweichungen der Reiseberichtsliteratur immer wieder ausgeglichen werden.

 

Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, daß ausschließlich geographisch bestimmte Orte relativ zu ihrem Grundpfeiler recht genau lokalisiert sein können, aber bei falsch ermitteltem Grundpfeiler können diese Orte einen Längen-/Breitenfehler von ihrem Fixpunkt(themelioi)  geerbt haben und somit trotzdem falsch positioniert worden sein. Deshalb ist die Möglichkeit systematische Verschiebungen aus den ptolemäischen Koordinaten heraus rechnen zu können, an den Kontext der zugehörigen Grundpfeiler gekoppelt.

Welche Fehlerquellen gab es?

 

Um die Qualität der Geographike Hyphegesis beurteilen zu können, muß man auch einen Blick auf die möglichen Fehlerquellen werfen. Dies waren im Wesentlichen:

  • Der falsche Erdumfang: Der bekannteste Fehler, den Ptolemaios gemacht hat, ist die falsche Annahme des Erdumfanges. Dieser war lange zuvor schon von Erathostenes mit ca. 41.750 km sehr genau berechnet worden. Ptolemaios benutzte aber einen von Poseidonios falsch ermittelten Wert von ca. 30.000 km. Alleine diese Tatsache bedingt, daß sich bei Ptolemaios absolute Ost-West-Entfernungsangaben über mehr Längengrade verteilen als in der Realität. Dieser Effekt verstärkt sich sogar exponentiel, je weiter man zu den Polen gelangt. Das führte unter anderem dazu, daß die Längenausdehnung Europas (gemessen von der Küste Portugals bis Byzanz/Istanbul) bei Ptolemaios 50° beträgt, in der Realität aber nur 38° ausmacht. Dagegen könnten Positionierungen die auf astronomischen Messungen basieren und von Ptolemaios in Stadienwerte umgewandelt wurden wahrscheinlich zu kurz berechnet sein.
  • Unterschiedliche Maßeinheiten: Wir wissen z.B. daß in Gallien/Germanien unterschiedliche Maßeinheiten verwendet wurden. Neben der römischen Meile gab es auch die Leuge, die seit Trajan belegt ist. Auf der Tabula peutingeriana befinden sich als Entfernungsangaben nur Zahlen aber keine Einheiten. Aufgrund des Vergleiches dieser Entfernungen mit der realen Distanz zwischen identifizierten Orten, weiß man aber, daß diese Angaben mal römischen Meilen, ein anderes Mal aber die Entfernung in Leugen angeben. Diese Problematik könnte möglicherweise eine Ursache für die Verschiebungen bei Ptolemaios sein. Das vorherrschende Längenmaß im gesamten Werk war aber das griechische Stadion. Von diesem ist kein eindeutiges Maß überliefert. So wurden in unterschiedlichen Bereichen des griechischen Kulturkreises zu verschiedenen Zeiten Längen von ca. 150-200m benutzt.
  • Generelle Übermittlungsfehler: Auch Schreibfehler im Quellenmaterial sind wahrscheinlich, so wie sie auch in der Geographie selbst nachgewiesen wurden. Der Teil mit den Koordinatenangaben erwies sich, nach den Wissenschaftlern aus Basel, als der mit den meisten Minuskelfehlern.

Einige dieser Fehlerquellen werden auch Ptolemaios bewusst gewesen sein. So war der Einbau der Informationen aus der Reiseberichtsliteratur zwischen seine Grundpfeiler sicherlich ein hoch komplexer Vorgang, der durch die Erfahrungen aus dem Umgang mit seinen Quellen, aber auch durch seine Intuition geprägt sein wird. Um ausschließlich aus Entfernungsangaben, sehr selten auch mal eine präzisere Richtungsangabe, eine sichere Lokalisierung zu gewinnen ist eigentlich nur durch Kreuzpeilung von drei zuvor gesicherten Punkten aus möglich, und dann auch nur, wenn die Wegstrecken weitestgehend linear verlaufen. Letztendlich hat aber Ptolemaios es als erster geschafft, ein halbwegs proportionsgetreues Abbild der Erde herzustellen.

 

Abb.6: Auf Alexandria fixierte Umwandlung in die reale geographische Situation anhand eindeutig identifizierter Orte und Küsten.
Abb.6: Auf Alexandria fixierte Umwandlung in die reale geographische Situation anhand eindeutig identifizierter Orte und Küsten.

Quellenverweise

 

Die Karten auf dieser Seite sind durch eigene Manipulation auf Basis der Daten von geo.dianacht.de entstanden.

 

[ 1 ] Alfred Stückelberger , Kap.2.1 Zu den Quellen der Geographie, Ergänzungsband Geographie

[ 2 ] Alfred Stückelberger , Kap.3 Messmethoden, Ergänzungsband Geographie

[ 3 ] Florian Mittenhuber , Kap.3.2 Falsche Breitenwerte und ihre Folgen, Ergänzungsband Geographie

[ 4 ] Ernst Honigmann 1929 , Die sieben Klimata und die Polis Episemoi, S. 72f

[ 5 ] Stückelberger/Mittenhuber/Koch , Kap.2.2 Kanon der Poleis episemoi, Ergänzungsband Geographie

 

Erstellt: November 2011

Letzte Änderung: November 2011