Spuren historischer Stadtplanung im modernen Stadtbild

 

Um meine These über "den römischen Ursprung der Stadt Groningen" zu überprüfen, habe ich im Jahr 2020 damit begonnen anhand von OpenStreetmap-Daten moderne Stadtbilder, römischen und nichtrömischen Ursprungs, auf geometrische Gesetzmäßigkeiten zu untersuchen. Dabei ging es im Besonderen um die Frage, ob und wieweit eine historische orthogonale Stadtplanung heute noch statistisch nachweisbar ist. Die Ergebnisse sind hier zusammengefaßt.

Die Technik

 

Die freiverfügbaren OpenStreetmap-Daten erlauben es über einen Datenbank Zugriff auf sämtliche Atribute der OSM-Karte zu erhalten. Für die Untersuchung auf Hinweise von historischen Stadtgliederungen habe ich mich auf die Grafikobjekte der Stadtgebäude beschränkt (OSM-Tag "building").

Straßen, Grenzen oder Flüsse werden bei der Untersuchung also nicht direkt berücksichtigt. Aus dem OSM-Datenmodell werden zu untersuchende Städte zunächst mittels eines frei definierten Polygones aus den Gesamtdaten herausgelöst. Dies dient einzig zu dem Zweck die Datenmenge zu reduzieren um die Analysen zu beschleunigen. Die WGS84-Koordinaten werden zusätzlich in eine zweidimensionale Kartenprojektion umgerechnet um Entfernungsberechnungen einfacher zu machen. Die Winkelberechnungen habe ich mittels spährischer Trigonometrie bewerkstelligt, da die hierfür benötigte Funktion bereits bei meinen Ptolemaios-Projekten realisiert wurde. Die Gebäudeteile/wände werden bei OSM über die Entitäten Nodes,Ways und Way_nodes realisiert. Für die Untersuchung werden nicht komplette Gebäudepolygone erstellt, sondern es reichte aus, jeweils nur einzelne Linien aller Gebäude zu erstellen. Die erzeugten Graphen sind mit MS Excel erstellt. Die aus den OSM-Linien erstellten Stadtpläne wurden direkt aus der Datenbank als Ergebnis eines SQL-Befehls als SVG-Grafik erzeugt. Die OSM-Daten wurden zunächst mittels Osmosis in eine PostgreSQL Datenbank extrahiert, zur weiteren Verarbeitung dann aber auf eine EXASOL-Db verschoben. Dieser letzte Schritt dient nur zu meiner Bequemlichkeit, da die benötigten Werkzeuge hier bereits realisiert waren. Alle hier erzielten Ergebnisse sind problemlos aber auch auf der PostgreSQL-Db nachvollziehbar.

 

 

Mannheim - Eine geplante Stadt in Zahlen

 

Die ideale orthogonal geplante Stadt sollte exakt nur vier Winkel aufweisen. Sofern alle Gebäude rechtwinklige Grundrisse besitzen und die Stadtgrenzen ebenfalls Teil der Vermessungsrasters sind ist also nur ein Häufung von vier Winkelausprägungen zu erwarten. Folgt die Stadtgrenze dem Gelände oder ist Teil einer älteren ungeplanten Stadt sollten hier auch andere Winkel auftauchen. Als Beispiel für eine erwiesenermaßen geplanten Stadt wird zunächst die Innenstadt von Mannheim in ihren Ausmaßen, wie sie heute innerhalb des Stadtrings erscheint, untersucht (Abb.1). Obwohl Mannheim durch mehrere Umbau- und Zerstörungsphasen nicht mehr die ursprünglichen Ausmaße der Stadtgründung im 17. Jhd. aufweist, ist über die Jahrhunderte in der Besiedlung nie vom ursprünglichen Strassengitter abgewichen worden.

Wie erwartet zeigen sich in der Winkelbetrachtung Häufungen bei exakt vier Winkeln. Die auf volle Grad gerundeten Extremwerte liegen bei: 31°, 212°, 211° und 301°. Trotz der Dominanz dieser vier Ausprägungen sind  nahezu alle anderen Winkel auch im Stadtbild vertreten. Die Basis der vier Peaks die sich noch von dem Grundrauschen der anderen Winkel abhebt beträgt immerhin 1-2° in beide Richtungen des Extremwertes. Inwieweit dies Hinweis auf die Präzision der historischen Baumeister, Messfehler in OpenStreetMap oder ein normales Verschleifen über die Jahrhunderte ist, läßt sich an dieser Stelle nicht erkennen.

 

 

Soest - Eine organisch gewachsene Stadt

 

Im Kontrast zur orthogonalen Planstadt steht die komplett ohne stadtplanerische Eingriffe organisch gewachsene Stadt. Als Beispiel wird das westfälische Soest auf die gleiche Weise untersucht wie zuvor Mannheim. Gründungszeit und Wachstumsphasen von Soest sind nicht genau bekannt, Hinweise auf stadtplanerische Eingriffe fehlen hier. Das Erscheinungsbild deutet auf keine dominanten Winkel wie zuvor am Beispiel Mannheim gezeigt hin. Es fällt schwer auch nur zwei Straßen zu finden, die parallel zueinander verlaufen. Die Wege streben hingegen vom Stadtrand aus in unterschiedlichen Richtungen zum Zentrum. Wobei sie selten einen komplett geraden Verlauf nehmen.

Der Graph über die Winkelverteilungen im Stadtbild sieht demendsprechend uneinheitlich aus. Im Vergleich zu Mannheim gibt es in Soest keinen dominanten Winkel. Alle Winkel sind mit unterschiedlichen Ausprägungen nicht weit vom Durchschnitt repräsentiert. Anhand des willkürlich ausgewählten Winkels 16° (Abb.5) erkennt man, daß die zugehörigen Gebäude im gesamten Stadtgebiet verteilt sind und nicht ein einheitliches Gebiet beanspruchen. Vom Zentrum aus gesehen gibt es allerdings leichte Häufungen in korrespondierenden Himmelsrichtungen. Dies ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, daß Soest wahrscheinlich ringförmig gewachsen ist. Dieser Effekt tritt mehr oder weniger bei allen Winkel auf.

Hervorzuheben ist dennoch der Winkelbereich von 72° bis 78° der die größten Häufigkeiten in der Winkelstatistik aufweist (Abb.6). Über die Verteilung der Gebäude gilt das zuvor für alle anderen Winkel gesagte. Aber in diesen Bereich fallen auch die großen Kirchen im Zentrum der Stadt und der Verlauf des Hellweges Richtung Geseke. Beides sicherlich bedeutende Faktoren für die Orientierung der Stadtgebäude im Lauf der Jahrhunderte.

 

Trier - eine ursprünglich römisch geplante Stadt

 

Die Stadt Trier wurde als Augusta Treverorum in der frühen Kaiserzeit als Kolonie gegründet. Römische Städte, die als Kolonien gegründet wurden, wurden in dieser Zeit mit einem rechtwinkligen Straßennetz realisiert. Der archäologische Plan der Stadt zeigt, daß sich dieses wahrscheinlich über das gesamte antike Stadtgebiet ausdehnte. Um das römische Straßennetz sichtbar zu machen wurde am heutigen Viehmarkt das Straßenpflaster dem alten römischen Verlauf folgend verlegt. Auch ein Durchgang im sogenannten Ungers-Bau, der die Reste der Thermenanlage schützt, wurde entsprechend realisiert.

Im Graph mit den Winkelverteilungen der heutigen Stadtgebäude sind solche Hervorhebungen nicht nötig. Ganz klar treten exakt vier Extremausprägungen (16°, 106°,196° und 286°) hervor wie man es ähnlich bei dem Graphen von Mannheim bereits sehen konnte. Die Basis der Peaks ist im Vergleich zu Mannheim aber wesentlich breiter. Während dort die angrenzenden Winkel im Bereich von plus/minus 3° vom Extrempunkt noch als überrepräsentiert gelten, streuen diese Winkel in Trier aber bis in Bereiche von plus/minus 8°. Sieht man sich den gesamten Peak, also Basis und Extremwinkel, farblich markiert im Stadtplan an, dann erkennt man das sie zusammenhängend sind und nicht etwa getrennt voneinande runterschiedliche Stadtbereiche beanspruchen. In der Tat liegen die Winkel der Extremwerte oft näher an Zonen mit archäologisch nachgewiesenen römischen Gebäuden oder Straßen. Da sich auch die vom Extremwert abweichenden Winkel der Peakbasis sowohl statistisch aber auch in der Bebauung an diesen orientieren, kann man annehmen, dass auch diese Winkel, obwohl bis zu 8° abweichend, als Indikatoren für ein orthogonales Stadtraster gelten können.

Umso erstaunlicher ist der Blick auf das historische Erscheinungsbild von Trier aus dem 19. Jhd. Zu dieser Zeit befand sich die städtische Bebauung noch innerhalb der mittelalterlichen Stadtgrenzen, die schon eine wesentliche Verkleinerung der alten antike Stadtumwehrung darstellten. Der Bereich südlich der heutigen Kaiserstraße, der heute fast komplett dem antiken Verlauf folgt, wurde vor der Industrialisierung anscheinend vorwiegend landwirtschaftlich genutzt. Gleiches gilt für den Bereich um das Brüderkrankenhaus. Das Vorhandensein von römischen Straßen und Abwasserleitungen legt nah, daß in diesen Stadtarealen erhaltene Infrastrukturen die Wiederbesiedlung in ursprünglich römischer Ausrichtung begünstigten wenn sie nicht sogar gewollt stattfand.

Die heutige Dominanz der römischen Winkel bestand also nicht immer, oder war weniger ausgeprägt als heute. Zudem sind offenbar nicht immer die hier untersuchten Gebäude die Träger der Überlieferung historischer Stadtraster.

 

Lübeck - mittelalterliche Stadt mit regelmäßigen Straßenzügen

 

etwa ab dem 12. Jhd wurde das Gebiet der heutigen Altstadt von Lübeck besiedelt. Die Geschichte der Stadt ist von Anfang an eng mit dem lukrativen Ostseehandel und dem Aufstieg der Hanse verknüpft. Dabei wuchs das Stadtgebiet relativ schnell und schon 200 Jahre nach der offiziellen Gründung gehörte Lübeck zu den größten Staädten im Deutschen Reich. Während dieser frühen Phase wird immer wieder von Stadtbränden (Jahre 1136 ,1157,1251 und 1276 ) mit großen Zerstörungen berichtet.

Die Winkelverteilung der Lübecker OSM-Gebäude zeigt zunächst auch wieder deutlich vier Bereiche die sich klar von allen anderen Winkeln abheben. Die Basis der Peaks ist aber im Vergleich zur römisch strukturierten Stadt Trier noch einmal deutlich angestiegen. Während sie in Trier etwa nur 15-20° ausmacht, streuen die angrenzenden Winkel von-30° bis +20° vom Peakwinkel. Das heißt, der Peakwinkel befindet sich diesmal auch nicht in der Mitte der die Basis ausmachenden Werte. Diese Beobachtung wiederspricht der Vermutung, dass sich generell die vom Peakwinkel abweichenden Basiswinkel durch über die Jahrhunderte angehäufte Winkelfehler bei der sich am Peakwinkel orientierenden Bebauung gebildet haben. Denn dann müßten sie sich wie in Trier und Mannheim neben dem Peakwinkel zu gleichen Teilen erstrecken. Im dazu generierten Stadtplan der Basiswinkel fällt dann auch auf, dass keine homogene Verteilung der Basiswinkel zum Peakwinkel erkennbar ist. Innerhalb der Basiswinkel lassen sich stattdessen deutlich zwei Winkelbereiche lokalisieren, die unabhängig voneinander